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Here comes the sun

by Paul Nowotny | 04.06.2021

Nicht der Held, den das Herz will – aber der, den es braucht

Obwohl die Mobilitätswende in vollem Gang ist, haben sich viele gewohnte Attribute, die Autos für den Menschen attraktiv machen, bisher wenig verändert. Fahrzeugfronten imitieren noch immer Raubtiere und Kampfroboter, Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit sind mindestens so wichtig, wie Laderaum, Platzökonomie und Effizienz. Man möchte meinen: das ewig gestrige, die prähistorische Verbrennerwelt, will ihre dinosaurierhaften Insignien unverändert an das Elektroauto weitergeben. Das jedenfalls ist nicht das Wesen von Evolution.

Wir haben gelernt, das Auto als Ausdruck oder gar Erweiterung der eigenen Persönlichkeit zu sehen. Leider liegen Selbstdarstellung und Exzess nahe beisammen. Exzess in diesem Zusammenhang bedeutet mehr Ressourcen in der Herstellung, mehr Energie im Betrieb, mehr von allem, wenn man so will. Unterm Strich: ein Mehr an Konsum. Und das ist eines der fundamentalen Probleme unserer Mobilität. Dabei fällt auf: das Auto als Überhöhung des Egos ist das Konzept einer zwar noch kaufkräftigen, aber bereits überholten Generation. Junge Menschen geben immer weniger auf den eigenen Boliden als Aushängeschild, auf das Auto als Ausdruck von Individualität. Im Gegenteil, der Unterhalt eines Autos wird als große Belastung wahrgenommen und knallhart in die Kosten-Nutzen-Rechnung übernommen. Fair enough!

Herstellungsmethoden, die verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen, Effizienz und vor allem Zukunftsfähigkeit, sind die modernen must-haves, die den altbekannten Verkaufsschlagern schön langsam den Rang ablaufen. Sportliche, straff abgestimmte, scharfgetunte  Jäger werden sich neue Reviere suchen müssen, das Auto von morgen muss andere Tugenden haben um erfolgreich zu sein.

Genau in diese Kerbe schlägt auch das junge Team von Sono Motors, das seit 2016 an einem Auto arbeitet, das die automobile Welt so nachhaltig revolutionieren soll, wie es bisher nur Legenden, wie das Model T oder der Käfer vermochten. Mit dem Sion kann alles ganz anders werden.

©Sono Motors

Und er läuft, und läuft, und läuft, und…

Das Revolutionäre am Sion ist natürlich nicht der batterieelektrische Antrieb, der gehört heutzutage auch für Traditionshersteller längst zum guten Ton, die Revolution ist die Art und Weise, wie er lädt. 

Seine Karosserie ist nämlich flächendeckend mit Photovoltaik-Paneelen verkleidet, die den Sion immer dann laden, wenn Tageslicht zur Verfügung steht. Auch wenn er gerade fährt. Die Argumente für diesen Ansatz sind ebenso simpel, wie einleuchtend. Der garagenlosen und auf der Straße parkenden Städter findet den Umstieg auf ein Elektrofahrzeug bei Weitem nicht so attraktiv, wie jener, der über ein Habitat mit Lademöglichkeit verfügt. Zwei gewichtige Vorteile für den Umstieg auf ein Elektrofahrzeug fallen dann nämlich weg: 

Wenn ich daheim lade, entfallen zusätzlichen Wege, für das „Tanken“ und die Betriebskosten reduzieren sich bei Zuhauseladern auf ein Minimum. Auswärtslader sind gegenüber „Heimschläfern“ durchaus benachteiligt, wenn sie keinen Zugang zu günstigen Ladetarifen haben. 

Die Lösung, mittels integrierter PV-Paneele zu laden, marginalisiert diese Probleme indem sie dem Sion ermöglicht, nur durch die Kraft der Sonne bis zu 35 Kilometer Reichweite pro Tag „nachzutanken“. Und das bei mitteleuropäischen Witterungsverhältnissen. Für viele Menschen, gerade in städtischer Umgebung, könnte dies ausreichend sein, um aktives Laden an der Ladesäule weitgehend aus ihrem Alltag zu verbannen. Die Idee von autarker Mobilität mit dem eigenen Auto hat viel Schönes, spart man sich auf diese Weise sogar die üblichen Diskussionen über die Ökobilanz des geladenen Stroms.

©Sono Motors
©Sono Motors
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©Sono Motors
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©Sono Motors

Der erste Schweizer Armee-Pampersbomber

Zugegeben, der Sion glänzt nicht mit verspielter und sichtlich dem Selbstzweck verschriebener Optik. Wenn man’s genau nimmt, glänzt er nicht mal richtig. Es geht eher in Richtung „seidenmatt“ oder was die polymerverkleideten PV-Elemente halt so an Licht in Richtung des Betrachters zurückwerfen. Rein formell ist der Sion eigentlich die Antithese zum feuchten Traum des Autoenthusiasten: Quadratisch-praktisch-gut trifft aerodynamische Tropfenform.

„Was ist die Upside?“, fragt der Neudenglische.

Der Sion verbraucht nur 9m² Stellfläche und bietet dabei Platz für eine ganze Familie und 650 Liter Kofferraumvolumen. In der Verbrauchswertung „Platz pro Platz“ ist er damit jedenfalls ein Anwärter für einen Stockerl-(ja, richtig)-Platz.

Der Vergleich mit dem berühmten Taschenmesser der Bündnisbrüder bezieht sich aber auch auf seine elektrische Vielseitigkeit. Der Sion produziert Strom nicht nur selbst, mittels bidirektionalem Laden kann er seinen Energie auch mit einem anderen teilen. Das ist doch mal was, wenn ein elektrischer Kollege mit leerer Batterie am Straßenrand liegt und um Hilfe ruft. Obendrein hat der Sion auch eine 220V-Schuko-Steckdose an Bord, über die Elektrogeräte bis zu 3,7 kW Leistung ziehen können. Ein Generator für die Baustelle oder den anspruchsvollen Campingausflug wird damit überflüssig.

Die eigentliche Sensation aber bleibt das bidirektionale Laden. Vor allem in Kombination mit dem CCS-Ladestandard. Bisher war bidirektionale Ladetechnik nämlich Fahrzeugen vorbehalten, die über den CHAdeMO-Ladestandard verfügen und der hat sich ja bekanntlich weder in Europa noch den USA durchgesetzt. Das bidirektionale Laden aber ist der Schlüssel zur nächsten Evolutionsstufe der Elektromobilität.

Das Hadern mit der Infrastruktur

Oft hat man das Gefühl, die öffentliche Meinung kreist wie ein Geier über dem Thema Ladeinfrastruktur und warte nur darauf, sich auf seine Beute zu stürzen, sobald sie zu lahmen beginnt. Dabei sehen Menschen und Medien in Elektroautos gerne nur das Offensichtliche: Stromabnehmer. Netzbelaster. Die vier Reiter der Black-out-okalypse. Dabei sind sie weder jetzt, noch in Zukunft das Problem. Vielmehr sind sie eine mögliche Lösung.

Was dem nur allzu menschlichen Auge entgeht, ist das, was tief in den Fahrzeugen steckt: Unmengen an Speicherkapazität für elektrischen Strom. Das sind übrigens genau jene Kapazitäten, mit denen man Netzschwankungen ausgleichen und Black-outs verhindern könnte, Kapazitäten, die sowohl den Heimspeicher für die Photovoltaikanlage am Hausdach als auch kalorische Stromkraftwerke für Überbrückungsphasen im Stromnetz ersetzen könnten. All dies setzt voraus, dass das Gros der Elektrofahrzeuge bidirektional laden – also Strom aufnehmen und auch wieder abgeben – kann.

Theoretisch wäre es mit dem Sion sogar möglich, Strom mittels der PV-Paneele zu erzeugen und über das bidirektionale Ladesystem ins allgemeine Stromnetz einzuspeisen. Auch wenn dieser Idee derzeit noch der eine oder andere juristische Stein im Weg liegen dürfte, hat sie doch einen gewissen Charme und zeigt, dass sich abgestellte Autos, die den ganzen Tag eigentlich nur im Weg stehen, für die Gesellschaft nützlich machen könnten.

Lean and mean

Klammert man bei dem Projekt „Autohersteller-Startup“ die üblichen Herkulesaufgaben, wie Fahrzeugentwicklung vom Nullpunkt weg, komplexe Lieferketten, die Entwicklung der Serienproduktion, Errichtung einer funktionieren Produktionskette und andere „Kleinigkeiten“ aus, dann bleiben ein paar nicht zu verachtende Vorteile übrig. Allem voran, halten das Unternehmen keine gewachsenen Strukturen zurück, die den Vertrieb teuer und die Entwicklung unflexibel machen. So kann man sich zum Beispiel auf die Dampfmaschine des einundzwanzigsten Jahrhunderts konzentrieren: Software. Und da punktet der Sion besonders, ist er doch bereits serienmäßig mit hard- und softwareseitigen Lösungen für car sharing, ride pooling, over-the-air-updates und visionärer connectivity ausgestattet.

Vertriebsseitig setzt man voll und ganz auf den online-Absatz und spart hier bares Geld, das sich wiederum in einem wohlfeilen Verkaufspreis widerspiegeln soll: 25.500,- EUR lautet das gesetzte Ziel, das viel Auto pro Euro verspricht.

So wunderbar die Vision von Sono Motors klingt, so fragil ist sie doch auch. Das ist nicht auf die Qualitäten des Produkts oder der Idee an sich bezogen, sondern schlicht auf die Schwierigkeit des Unterfangens. Es gibt gute Gründe, warum viele automotive startups scheitern, im seltensten Fall liegt es an der Inkompetenz oder gar Faulheit der Gründer oder Mitarbeiter. Auch Sono Motors hat bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Ursprünglich hat das Unternehmen mit einer crowdfunding-Kampagne gestartet, 2018 kam eine weitere Finanzierungsrunde, Prototypen wurden gebaut, die Produktion für 2020 avisiert und dann kam Ende 2019 die Hiobsbotschaft: Auf dem üblichen Weg der Finanzierung konnten die notwendigen Mittel für die Produktion nicht aufgestellt werden – die Forderungen der potenziellen Investoren hätten die Prinzipien des Teams zu sehr konterkariert.

Man ging erneut den Weg des Crowdfundings, kommunizierte authentisch an die community, und schaffte es auf diesem Weg erneut, gut 50 Millionen Euro aufzustellen. Für die Produktion der Serienfahrzeuge wird man jedoch noch viel größere Finanzierungsrunden benötigen und so bleibt es weiter spannend um den Sion und Sono Motors. Aktuell ist der Produktionsstart im schwedischen Trollhättan für 2022 avisiert.

Wir finden: Es wäre eine tolle Sache, wenn dieses tollkühne Unterfangen gelingt.

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